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Auf dem dritten Weg


Stoiber erklärt Kopfpauschale für erledigt - nun ist ein echte Gesundheitsreform möglich

Zwei Opfer der Gespräche von SPD und Union über die künftige Regierung liegen schon im Leichenschauhaus. Sie heißen Kopfpauschale und Bürgerversicherung. Eine radikale Gesundheitsreform, wie sie Angela Merkel immer wollte, wird es in der nächsten Legislaturperiode nicht geben. Auch die SPD-Bürgerversicherung, deren Beiträge nicht nur am Arbeitseinkommen, sondern auch an den Zinsen ansetzen, hat sich erledigt. In einer großen Koalition fällt der Systemwechsel aus. Ausgerechnet der verhinderte Kanzler Edmund Stoiber hat nun in aller Öffentlichkeit das Ende der Radikalpläne verkündet und damit zum Leidwesen der designierten Kanzlerin Merkel eine wichtige Verhandlungsposition der Union vorzeitig geräumt.

Natürlich wird jetzt Wehklagen einsetzen. Die Fundamentalreformer in Wissenschaft und Verbänden werden die blockierte Republik bejammern, doch dies sollte der Bürger überhören. Denn zur Klage gibt es keinen Grund, eher zu Hoffnung. Im Grunde ist es ein Segen für das Land, dass keiner der ursprünglichen Pläne der beiden Voksparteien realisiert wird. Nun lässt sich nüchtern über die Defizite bei Ärzten, Kassen und der Arzneiversorgung reden, anstatt über die Selbstverliebtheit einiger Professoren, die Politiker und Medien für ihre Modelle als Geiseln genommen haben.

Sowohl die Prämie als auch die Bürgerkasse schaffen mehr Probleme, als sie lösen. Sie sind getarnte Programme zum Aufbau von Bürokratie. Im SPD-Modell müssten Kassen und Behörden nach den Zinsgewinnen der Bürger fahnden, damit AOK und Co. mehr Geld erhalten. Das CDU-Konzept sieht vor, dass 20 bis 30 Millionen Versicherte zu den Ämtern gehen und Sparbücher sowie Vermögen offen legen müssen, damit sie einen Zuschuss erhalten. Zukunftsweisend ist das alles nicht - zumal die Extremmodelle nicht dabei helfen, die Gesundheitskosten zu begrenzen.

Bei der Kopfpauschale wäre ein weiteres Problem hinzugekommen, das mit den Mechanismen der Macht zusammenhängt. Gesundheitspolitiker reagieren nur auf öffentlichen Druck. Sie müssen, wie es ein Experte drastisch formulierte, angespitze Bambusstäbe unter den Fingernägeln spüren, damit sie handeln. Erst wenn die öffentliche Debatte laut ist, erst wenn die Arbeitgeber heftig über steigende Sozialbeiträge klagen und die Schlagzeilen dicker werden, wagen die Parteien den Kampf mit der ausgabefreudigen Lobby. Im System der Kopfpauschale, die die Unternehmen schont, hätte sich jedoch kein öffentlicher Druck mehr aufbauen können. Die Gesundheitskosten wären Privatsache geworden, die Politiker hätten sich zurückgelehnt. Wohin das führt, lässt sich bei der privaten Krankenversicherung beobachten. Dort sind die Kosten binnen zehn Jahren fast doppelt so stark gestiegen wie bei den gesetzlichen Kassen.

Und nun? Union und SPD müssen vor allem die Ausgaben in den Griff bekommen. Sie müssen mit den Ärzten, Pharma-Unternehmen, Apothekern, Kassen und Kliniken ringen. Noch immer verschreiben Ärzte zu viele überteuerte Medikamente, obwohl sie stets behaupten, wirtschaftlich zu verordnen. Noch immer endet die Suche nach einem guten Arzt für viele in einer Odyssee durch die Praxen. Noch immer arbeiten Praxen und Kliniken nebeneinander und röntgen dreimal dasselbe Knie. Noch immer gibt es zu viele Kassen, zu viele Apotheker, und alle Beteiligten fühlen sich vom Wettbewerrb bedroht wie der Vampir vom Kreuz. Diese Mängel muss die neue Regierung beseitigen.

Die Voraussetzungen dafür sind gut. In einer großen Koalition muss niemand auf die Apotheker- und Ärztepartei FDP Rücksicht nehmen und Zumutungen an die eigene Klientel lassen sich mit Hinweis auf den Regierungspartner besser verkaufen. Insofern könnte der "dritte Weg", den Stoiber nun einschlagen will, genau der richtige Weg sein.


Artikel von Andreas Hoffmann in der Süddeutschen Zeitung vom 5.10.05

Mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung und der DIZ München GmbH.


(Diese Seite wurde am 17.2.2024 aktualisiert.)


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