Lupus-Erythematodes-Selbsthilfegruppe Darmstadt



Startseite   Berichte   Infomaterial   Geschichte   Tipps zur Gesundheitsreform
Lupus-Ratgeber   Neuigkeiten


Kommentar zum Bericht über eine Mainzer Lupuspatientin mit CAR-T-Zell-Therapie


Lupus-Patientin: "Die Schmerzen haben mir alles abverlangt". Bericht über eine Mainzer Lupuspatientin mit CAR-T-Zell-Therapie, Wiesbadener Kurier vom 6.2.24 https://www.wiesbadener-kurier.de

Kommentar: Sind Ärzte sich eigentlich bewusst, was sie in ihrem Drang nach Publikation und Öffentlichkeitsaufmerksamkeit bei den Patienten bewirken? Seit etwa drei Jahren wird die ursprünglich für Krebserkrankungen entwickelte, seit 2017 in den USA und 2018 in Deutschland dafür erstzugelassene CAR-T-Zell-Therapie, eine Abwandlung der Stammzelltherapie, experimentell in Deutschland auch bei schweren Autoimmunerkrankungen eingesetzt. "Experimentell" bedeutet, in einzelnen, therapieresistenten Fällen bei Lupus, Sklerodermie und der Myasthenia gravis. 2021 wurde in Erlangen damit weltweit die erste Lupuspatientin behandelt. Voraussetzung ist, dass alle intensiven konventionellen Behandlungen versagt haben und bereits schwere Organschädigungen bestehen. Dabei wird die CAR-T-Zell-Therapie mit einer Chemotherapie kombiniert. So wie bereits vor 30 Jahren mit der herkömmlichen Stammzelltherapie plus Chemotherapie, kann damit eine vollständige, therapiefreie Remission dieser Erkrankungen erreicht werden. Man kann an dieser Behandlung aber auch sterben. Sie kann im Körper den gefürchteten Zytokinsturm auslösen, einen Frontalangriff des Immunsystems auf sich selbst, oder Jahre später schwere Krebserkrankungen wie zum Beispiel Lymphome nach sich ziehen. Die Art und Häufigkeit dieser schwerwiegenden Nebenwirkungen wird im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen https://www.akdae.de, https://www.pharmazeutische-zeitung.de weltweit sorgfältig überwacht. Die Food and Drug Administration FDA, Gesundheitsbehörde in den USA, hat die Hersteller verpflichtet, die Patienten 15 Jahre lang nachzubeobachten. Zum Teil traten erst nach über zehn Jahren bei den Behandelten die ersten malignen T-Zell-Erkrankungen auf, darunter CAR-positive T-Zell-Lymphome.

Als vor 30 Jahren der Arzt einer Uniklinik die Stammzelltransplantation mit einer Endoxanstoßherapie kombinierte und medienwirksam die Erfolge präsentierte, wurde er von seinen Kollegen ausgegrenzt und schließlich gemieden. Die Nebenwirkungen erschienen ungeheuerlich. Inzwischen sind diese schweren Eingriffe ins Immunsystem kontrollierbarer geworden mit der Folge, dass unter den Kliniken in Deutschland gegenwärtig ein Wettlauf um diese Therapieform entbrannt ist. Bald jeder damit behandelte Patient findet seinen Weg ins Internet und die Presse. Prof. Andreas Mackensen, Direktor der Hämatologie und Internistischen Onkologie an der Uniklinik in Erlangen, beschreibt seine Situation so: "Im Moment sind wir sehr, ja, euphorisch und elektrisiert." Junge, unerfahrene Zeitungsredakteure greifen das Thema begierig auf. Dabei werden die Nebenwirkungen verschwiegen. Es wird auch nicht darauf hingewiesen, dass die Autoimmunreaktion nach einer CAR-T-Zell-Therapie wieder ausbrechen kann, wenn das Immunsystem beim nächsten auslösenden Ereignis wieder die falsche "Abbiegung" nimmt. Das liegt an der gut bekannten genetischen Veranlagung für Autoimmunkrankheiten, die auch nach einer CAR-T-Zelltherapie bestehen bleibt. So hatte die Mainzer Patientin vor der Behandlung eine lange Reise nach Tunesien unternommen und danach einen Schub erlitten - offenbar hatten ihr die Mainzer Ärzte nicht sorgfältig genug mitgeteilt, dass sie aufgrund der Sonnenlichtempfindlichkeit bei Lupus mit solch einer Reise ein sehr großes Risiko eingeht. Kein Mensch auf der Welt kann derzeit vorhersagen, ob das nicht auch nach einer CAR-T-Zell-Therapie der Fall ist.

Die Erfolge müssen auch auf lange Sicht unter Miteinbeziehung der Patienten überprüft werden. Sonst kann es nämlich heißen: "Ihre Beschwerden haben nichts mehr mit der Krankheit zu tun, denn die ist ja geheilt" - solche Fälle sind mir in der bald 30-jährigen Selbsthilfearbeit nach diesen intensiven Therapien bekannt geworden. Es wird auch nicht wirklich kommuniziert, dass solche Behandlungen schon allein aufgrund ihrer Kosten nur in Einzelfällen für Patienten umsetzbar sind. Wohl aber werden Erwartungen geschürt. Lupus-Patientinnen sind bei der Diagnose überwiegend im jugendlichen Alter. Nach einer Studie von Lupus Europe sind zwei Drittel der Betroffenen 15 Jahre nach der Diagnose unter der bisherigen medizinischen Versorgung nicht mehr arbeitsfähig. Der Lupus wirkt sich auf die gesamte berufliche Entwicklung und Lebensplanung aus. Die Wucht dieser geweckten Hoffnungen kommt bei den Ärzten vor Ort, den Angehörigen und Freunden von Betroffenen und den Selbsthilfegruppen an. Vor ein paar Tagen bekam ich eine E-Mail von einer Lupuspatientin, die sich schon erkundigt hat, wieviel denn eine CAR-T-Zell-Therapie kostet: 380.000 Euro. Sie überlegt, ihr Haus zu verkaufen, wenn sie es nicht schafft, die Behandlung irgendwie auf Kassenkosten zu bekommen. Nur mal als "Milchmädchenrechnung": Bei 40.000 Lupuspatienten und geschätzt 5 %, also 2.000 Patienten, die mit allen bisherigen Behandlungsverfahren nicht in eine Teilremission gebracht werden können, ergäben sich bei einer CAR-T-Zelltherapie 2.000 x 380.000 Euro = 760.000.000 Euro Behandlungskosten bei Lupus. Und bei der Sklerodermie und der Myasthenia gravis ergäben sich...

Die Situation erinnert an die Berichterstattung über die COVID-Impfstoffe. Die Nebenwirkungen zeigten sich erst bei der Massenanwendung. Im Grunde sind Einzelfallstudien über nicht zugelassene Behandlungsverfahren ein Thema für wissenschaftliche Zeitschriften, nicht für Zeitungen. Es ist, wie wir es bei den COVID-Impfstoffen gelernt haben: Neue Behandlungsverfahren müssen in breit angelegten Studien sorgfältig überprüft werden, bevor sie die Zulassung erhalten.

Ganz entfernt ähneln die Rahmenbedingungen der allogenen Stammzelltransplantation bei HIV-Patienten. Weltweit wurden bisher fünf an einer HIV-Infektion erkrankte Menschen wegen einer Leukämie mit einer Blutstammzelltransplantation behandelt. Sie erhielten Stammzellen eines Spenders mit einer seltenen Genmutation, die zu HIV-resistenten Zellen führt. Dabei konnte die HIV-Infektion geheilt werden und die Patienten benötigten seither keine antiretrovirale Therapie mehr. Wegen der Risiken und da die HIV-Infektion heute mit Medikamenten als gut beherrschbar gilt, wurde dieser Ansatz nur in wenigen Ausnahmefällen gewählt. Es wurden Patienten behandelt, die schon seit über 30 Jahren mit HIV infiziert waren und bis 68 Jahre alt waren.

Denkt man die Situation bei Lupus medizinethisch weiter, dann stellt sich im Verlauf dieses Prozesses möglicherweise die Frage: Wie kann man begründen, dem größten Teil der Patienten eine Heilung vorzuenthalten, wenn die herkömmliche Behandlung in so vielen Fällen zur Erwerbsunfähigkeit führt und somit erhebliche Kosten für die Gesellschaft verursacht? Im Ergebnis ist eigentlich nur denkbar, die Risiken und Kosten soweit zu reduzieren, dass das Therapieverfahren jedem Patienten angeboten werden kann. In den USA wird bereits eine schonendere, zeitlich begrenzt wirksame Variante der CAR-T-Zelltherapie ohne vorbereitende Lymphodepletion zum Einsatz bei Autoimmunkrankheiten entwickelt. Auch beim Lupus steht mit dem Prüfantrag von Atara Biotherapeutics schon die nächste Generation von CAR-T-Zell-Präparaten in den Startlöchern.

Jedem Patient und jeder Patientin, denen gegenwärtig mit der CAR-T-Zelltherapie geholfen werden kann, ist jedes Glück der Welt zu wünschen. Eine signifikante Verbesserung der Situation von Autoimmunpatienten, speziell beim Lupus, lässt sich derzeit aber für die breite Masse auch auf anderem Wege viel günstiger und risikoärmer erreichen. Wenn nämlich Termine bei Rheumatologen zu bekommen wären, die sich mit dem Krankheitsbild auskennen. Die die vorhandenen wissenschaftlichen Leitlinien auch umsetzen. Die Diagnosen stellen können und die langen Odysseen der Patienten von einem Arzt zum nächsten beenden. Und die die vorhandenen Medikamente auch anwenden. Leider ist ein leitliniengerechtes Vorgehen bei Rheumatologen viel zu häufig nicht der Fall, und leider sind mir auch aus der Region dieser außergewöhnlichen Einzelfallbehandlungen Patienten bekannt, die nicht nach diesen wissenschaftlichen Standards betreut wurden.

Dorothea Maxin, 15.2.24, Darmstadt


(Diese Seite wurde am 29.2.2024 aktualisiert.)


Alle Angaben ohne Gewähr. Es gilt der auf der Internetseite https://www.disclaimer.de angegebene Haftungsausschluss.


Top


Verantwortlich für den Inhalt und die Gestaltung dieser Webseite:
Dorothea Maxin, Gervinusstr. 47, D-64287 Darmstadt - Germany - Kontakt