Lupus-Erythematodes-Selbsthilfegruppe Darmstadt



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Ein Off-label-Antrag wegen Lodotra®

Im Herbst 2011 überraschte mich der Rheumatologe bei einem Kontrolltermin mit der Bitte, einen Off-label-Antrag für Lodotra® zu stellen. Bis dahin hatte ich zweieinhalb Jahre lang von insgesamt vier Ärzten ohne Probleme Kassenrezepte für Lodotra® bekommen, ohne das von Off-label jemals die Rede gewesen wäre. Das neue Medikament mit verzögerter Freisetzung von Prednison schenckte mir Tag für Tag etwa eineinhalb Stunden aktive Lebenszeit, die ich für das Schlafen einsparte. Der Rheumatologe machte deutlich, dass er Schwierigkeiten bei der Abrechnung mit der Kassenärztlichen Vereinigung befürchte, weil das Medikament offiziell nur für die rheumatoide Arthritis zugelassen sei. Den Antrag stellte er quasi als Formsache dar und meinte "Wir helfen Ihnen auch!"

Um das geeignete Vorgehen herauszufinden, erkundigte ich mich bei Patientenberatungsstellen und bei Rechtsanwälten, die auf Patientenrecht spezialisiert sind. Die rechtliche Situation war so, dass der Patient den Antrag auf Off-label-use stellt, er kann jedoch den Arzt bitten, dies zu übernehmen.

Schnell war ich entmutigt, denn sinngemäß hieß es bei den Beratungsstellen und Anwälten:
Off-label-Anträge kommen meistens nicht durch...
Stellen Sie bloß keinen Off-label-Antrag, derselbe Wirkstoff in neuer Verpackung? Das wird nie genehmigt... ,
Nur weniger Schlafen und mehr Lebensqualität? Wenn Sie nicht lebensbedrohlich krank sind, hat Off-label-keinen Erfolg ("Nikolaus-Beschluss von 2005")...
Beim Widerspruchsverfahren entscheiden wieder die gleichen Leute bei der Krankenkasse über den Antrag, Aussicht auf eine andere Entscheidung gibt es erst bei der Klage am Sozialgericht...
Der Klageweg dauert lange, bis zum ersten Termin beim Gericht können anderthalb Jahre verstreichen...
usw. usw. usw.

Ein auf Patientenfragen spezialisierter Rechtsanwalt stellte dar, dass er auch beim Vorliegen einer Rechtsschutzversicherung zusätzlich etwa 2.000 Euro Honorar für die Begleitung beim Sozialgericht in Rechnung stellen müsse, da die Rechtsschutzversicherungen die Kosten bei weitem nicht abdecken würden.

Dann schrieb ich den Antrag, denn eine andere Wahl hatte ich ja nicht. Darin schilderte ich, unter der Einnahme von Lodotra® täglich anderthalb Stunden weniger Schlaf zu benötigen und vormittags wesentlich fitter zu sein. Dieses Medikament hatte mir geholfen, meine Arbeitsfähigkeit am Vormittag zu erhalten, die zu dem Zeitpunkt der Umstellung von Decortin® auf Lodotra® wegen Erschöpfung vormittags praktisch nicht mehr gegeben war.

Nach wenigen Tagen bekam ich Post von der Krankenkasse mit einem mehrseitigen Fragebogen, den ich an den behandelnden Rheumatologen weiterleiten sollte. Das erledigte ich umgehend.

Nach vier Wochen erhielt ich einen Anruf eines Krankenkassen-Sachbearbeiters mit der Bitte um Rückruf. Am gleichen Nachmittag versuchte ich dreimal, zurückzurufen, dieser Mitarbeiter war jedoch nicht erreichbar. Stattdessen waren andere Sacharbeiter am Telefon, die sich nicht auskannten. Beim dritten Anruf machte ich deutlich, dass ich jetzt wissen wolle, worum es ginge. Daraufhin sagte mir die Sachbearbeiterin, der Antrag sei vom MDK abgelehnt worden. Es sei statt Lodotra® ein anderes Medikament vorgeschlagen worden. Welches, sagte sie nicht. An dem Tonfall wie sie den Text vorlas, spürte ich ihre Betroffenheit über meinen Fall. Ich hatte ja im Lauf von 26 Krankheitsjahren erst nach zehn Jahren meine Diagnose erhalten, in dieser Zeit wegen der undiagostizierten Krankheit mein Zweistudium in Medizin aufgeben müssen, seit 15 Jahren wegen der Erkrankung nur noch in Teilzeit gearbeitet und vor zehn Jahren meine Teilzeitstelle auf das finanziell unbedingt notwendige Minimum einer halben Stelle reduziert. Lodotra® hatte mir geholfen, meine Arbeitsfähigkeit zu erhalten. All das hatte ich in den Antrag hineingeschrieben. Es war also nicht so, dass die Krankenkasse ablehnte, weil mein Anliegen und der Gesundheitszustand nicht wichtig waren, sondern wegen eines anderen Medikaments. Bloß welches Medikament konnte dies sein? Lodotra® war weltweit das einzige Prednisonpräparat mit verzögerter Wirkstofffreisetzung. Generika gab es noch nicht. Ich überlegte und kam zu dem Schluss, dass die Krankenkasse wahrscheinlich irgendein anderes (Basis-?)Medikament vorschlug, ohne ein Bestimmtes konkret zu nennen (was sich später als falsch herausstellte).

An der Reaktion der Sachbearbeiterin merkte ich auch, dass die übliche Argumentation der Krankenkasse offensichtlich Folgende war: Der Anrufer lehnt das vorgeschlagene Alternativmedikament ab und die Krankenkasse besteht darauf. Ich hingegen sagte: Toll, das Sie ein anderes Medikament wissen, was ist das denn bitte schön? Ich kenne kein anderes und würde es GERNE einnehmen! Sämtliche in Frage kommenden zugelassenen Lupus-Medikamente hatte ich ja schon ausprobiert (Resochin®, Quensyl®, Azathioprin, und von den nichtzugelassenen: CellCept®, ohne Off-Label-Antrag). Nach zum Teil jahre- bis jahrzehntelanger Einnahme hatte ich diese Arzneimittel wegen Nebenwirkungen bis auf eine geringe Restdosis Resochin® absetzen müssen.

Außerdem wunderte ich mich darüber, dass ich den Fragebogen des Rheumatologen nicht wie eigentlich vorgesehen von ihm zurückerhalten hatte. Stattdessen war er von ihm, wie sich jetzt herausstellte, direkt an die Krankenkasse geschickt worden.

Noch am gleichen Tag erkundigte ich mich wieder über meine rechtliche Situation bei Rechtsanwaltskanzleien, die auf Patientenrecht spezialisiert waren. Am nächsten Tag rief ich erneut bei der Krankenkasse an und fragte nach der Adresse des Medizinische Dienstes, weil ich dort persönlich hingehen und mir vom begutachtenden Arzt erklären lassen wollte, welches Medikament alternativ zu Lodotran® vorgeschlagen wurde. Außerdem listete ich auf, was ich alles schriftlich haben wollte: den Ablehnungsbescheid, eine Kopie des Gutachtens des MDK und eine Kopie der Stellungnahme des Arztes. Außerdem bat ich darum, dass mir diese Unterlagen umgehend per Fax oder Mail zugeschickt würden, denn ich wollte nicht länger warten. In Zeiten von Informationstechnologien ist dies ja eigentlich kein Problem. Die Sachbearbeiterin sagte es zwar vage zu, aber alles müsse erstmal ausgedruckt werden und das benötige Zeit, weil es ja neun Seiten wären usw. Daraufhin äußerte ich, dass ich das überhaupt nicht gut fände, telefonisch benachrichtigt zu werden und dann noch tagelang auf den schriftlichen Bescheid warten zu müssen. Bei chronisch Kranken reicht eine schriftliche Zusendung des Ablehnungsbescheids völlig aus und solche sinnlosen Telefongespräche stressen nur unnötig. Der Grund für den Anruf der Krankenkasse ist wohl die Absicht, dass der Versicherte womöglich aufgibt und die Krankenkasse keine schriftliche Ablehnung mehr zu formulieren braucht.

Am nächsten Tag schickte ich der Krankenkasse einen Brief mit Bitte um Auskunft über meine rechtliche Situation, wie ich denn jetzt an Rezepte für Lodotra® gelagen könne: welche Rezepte von welchem Arzt? Mein Kenntnisstand war, dass Privatrezepte für verschreibungspflichte Medikamente von Kassenärzten für Kassenpatienten gar nicht ausgestellt werden dürfen (was sich jedoch offenbar geändert hat). Außerdem wollte ich wissen, (1) ob ich die Privatrezepte nach Abschluss des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht bei der Krankenkasse zur Kostenerstattung einreichen könne, und (2) ob ich rechtlich verpflichtet bin, dem Arzt, den ich um ein Rezept für Lodotra® bitte, zu sagen, dass ein Off-label-Antrag abgelehnt wurde, und (3) ob der Arzt sich rechtswidrig verhält, wenn er trotzdem ein Kassenrezept für Lodotra® ausstellt. Diese ganzen rechtlichen Varianten hatte ich im Kopf durchgespielt - das betraf ja wirklich meine Rahmenbedingungen als gesetzlich Versicherte - wer klärte mich da eigentlich auf? In diesem Brief machte ich deutlich, dass ich bis zum Letzten gehen würde (Sozialgericht), mit Fristsetzung, bis wann ich die Auskunft brauchte, weil ich dann ein neues Rezept benötigte. Ohne Kortison würde ich binnen Tagesfrist in eine lebensbedrohliche Krise geraten. Ich teilte mit, dass falls bis dahin kein Auskunft von der Krankenkasse käme, ich persönlich in der Geschäftsstelle vor Ort vorstellig werden würde.

Etwa eine Woche später kam die schriftliche Ablehnung des Sachbearbeiters per Post. Darin stand "Vielen Dank für das geführte Telefonat". Ich hatte ja aber gar nicht mit ihm gesprochen. Es wurde Cyclophosphamid als Alternative zu Lodotra® empfohlen.

Am gleichen Tag schickte ich per Einschreiben an die Krankenkasse meinen bereits im Geiste vorformulierten Widerspruch, weil ich ja wusste, dass für mich derzeit kein anderes zugelassenes Medikament in Frage kam. Ich stellte dar, dass das vorgeschlagene Alternativmedikament Cyclosphosphamid (Endoxan®) kein Ersatz für Kortison ist, da Kortison immer paralell zu anderen Basismedikamenten gegeben wird. Außerdem würde Cyclophosphamid nur in lebensbedrohlichen Fällen oder wenn die Nierenfunktion relativ schlecht ist, eingesetzt.

Drei Tage später rief eine neue Sachbearbeiterin an mit der Bitte um Rückruf. Ich rief umgehend zurück. Die Sachbearbeiterin stellte sich als Abteilungsleiterin vor und sagte, sie habe den Fall übernommen. Ich erklärte das mit dem "Dreimal zurückrufen und nicht da sein", und dann "vielen Dank für das Telefongespräch". Und das es ein Irrtum des MDK sei, zu meinen, das Endoxan® Lodotra® ersetzen würde. Ich stellte dar, dass ich bis zum Letzten gehen würde/müsse - sie: "Das haben wir gemerkt". Meine Gesprächspartnerin klärte mich auf, dass es noch gar kein Widerspruch sei, sondern mein Antrag zurück an den MDK gegeben werde, und erst wenn dieser wieder ablehne, ginge es an den Widerspruchsausschuss. Merkwürdig, dass einem das nicht vorher gesagt wird! Ich äußerte auch Anerkennung, dass die Stellungnahme des MDK einer der besten medizinischen Befundberichte über mich aus den letzten Jahren sei. Die Sachbearbeiterin fragte, ob ich das ironisch meine? Nein, es war wirklich so. Abgesehen von der offenbar rein nach Schema vorgehenden Medikationsempfehlung (es ging offensichtlich danach, was es noch an zugelassenen Medikamenten gab, und das wurde empfohlen) und den falsch aus meinem Antrag abgeschriebenen Jahreszahlen von Vordiagnosen (was man durch den Zeitdruck erklären konnte, unter dem sicherlich auch die Mitarbeiter der Medizinischen Dienstes der Krankenkassen stehen), war es ein nüchterner und sachlicher Bericht, der alle wesentlichen Fakten und Vordiagnosen auflistete. Im Gegensatz zu den rheumatologischen Befundberichten, in denen in der Regel weder die Beschwerden noch die Vordiagnosen noch die Vorbefunde korrekt dargestellt werden! Ich sagte der Abteilungsleiterin, dass ich die dazugehörige zweite Stellungnahme des Arztes schon am gleichen Tag per Einschreiben in die Post gegeben hatte und diese wahrscheinlich morgen bei ihr einträfe.

Zwischenzeitlich hatte der Rheumatologe mir nach erneuter Bitte seine ursprüngliche Stellungnahme zugeschickt, aus der ich ersehen konnte, dass er nur die erste Seite des Krankenkassen-Fragebogens ausgefüllt und den Rest mit allgemeinen Verweisen auf Studien ergänzt hatte. Beim nächsten Termin äußerte er die Auffassung, dass er nicht davon ausgehe, das mein Antrag Erfolg habe. Er wies darauf hin, dass in seiner Praxis grundsätzlich nicht Off-label behandelt würde, dies würde er Kliniken überlassen. Da der Antrag abgelehnt wurde, würde er mir ab jetzt nur noch Privatrezepte für Lodotra® ausstellen. Diesen Meinungsumschwung konnte man mit Fehlinformationen und Panik aufgrund des vermutlich gerade besuchten Kassenärztlichen Seminars über "Effiziente Praxisführung" erklären (derart "hellseherische" Fähigkeiten habe ich mir in 16 Jahren Selbsthilfearbeit und Dasein als Lupus-Kassenpatientin angeeignet...). Während des gesamten Zeitraums, seit ich bei ihm Patientin war, hatte er mir ohne Umschweife Kassenrezepte für Lodotra® ausgestellt und mir ein Jahr zuvor einen Therapieversuch mit CellCept® (bei Lupus ebenfalls Off-label) dringend nahe gelegt, ohne dass von einem Off-label-Antrag die Rede war. Leider hatte ich dieses Medikament nicht vertragen.

Ich machte dem Arzt Entwürfe für seine beiden ärztliche Stellungnahmen und korrigierte sie. Wichtig ist zum Beispiel, alle Formulierungen, die in Richtung "sinnvoll" statt "notwendig" und "leichter Verlauf" gehen, zu vermeiden. Für Rheumatologen, die vielfach auf die lebensbedrohlich akut-schubweisen Lupus-Verläufe fixiert sind, stellen sich in irriger und weltfremder Weise alle nicht-lebensbedrohlichen Lupus-Verläufe als "leicht" dar, für alle anderen Menschen und auch für Richter und Sachbearbeiter in Krankenkassen und Behörden spielt jedoch die tatsächliche Einschränkung der Lebensqualität, Arbeitsfähigkeit und die mannigfaltigen Beeinträchtigungen des Gesundheitszustand im Alltag durch eine chronische Erkrankung die wesentliche Rolle. Dies muss in den ärztlichen Stellungnahmen deutlich gemacht werden. An meinen recht knappen Entwürfen orientierte sich der Rheumatologe und schien auch dankbar für die Formulierungshilfen. Offenkundig hatte er nicht viel Erfahrung mit Anträgen. Die Stellungnahmen schrieb er sofort.

Bis zu dem Termin, den ich der Krankenkasse mit der Bitte um rechtliche Auskunft wegen der Rezepte gesetzt hatte, kam von der Abteilungsleiterin ein Brief mit der Auskunft, der Kassenarzt könne mir ein Privatrezept für Lodotra® geben. Welche Farbe das Rezept haben muss und ob ich den Arzt auch weiter um ein Kassenrezept bitten darf, ohne mich rechtswidrig zu verhalten, wurde nicht erörtert.

In diesem Moment wurde mir restlos klar, dass die Krankenkasse mir zuwenig half, ich dagegen auf heißen Kohlen saß. Daraufhin schickte ich umgehend einen zweiten Off-label-Antrag für Rituximab nach mit der Begründung, dass ich das Geld für die wahrscheinlich lebenslange weitere Einnahme von Lodotra® nicht hätte. Aus meinem Alter, den monatlichen Kosten von 60 Euro für täglich zwei Tabletten Lodotra® und einer vermutlich durch die Krankheit leicht eingeschränkten Lebenserwartung ergaben sich nämlich Kosten von mehreren zehntausend Euro. Da Cyclophosphamid ja derzeit noch nicht in Frage kam, weil meine Nierenfunktion zwar eingeschränkt, aber noch nicht so weit für eine Behandlungsindikation für Cyclophosphamid verschlechtert war, brauchte ich ein Medikament, dass mir ermöglichte, die tägliche Kortisondosis und somit die auf mich zukommenden Kosten für Lodotra® zu reduzieren. Ich kündigte an, dass ich mich mit weiteren für Lupus nicht zugelassenen Medikamenten beschäftigen würde, falls für Rituximab eine Ablehnung käme. Ich stellte dar, dass ich mich gegenwärtig mit Probepackungen über Wasser hielt und teilte mit, mich an sechs bis sieben Kassenpraxen zu wenden wegen weiterer Probepackungen, weil ich das Geld für Lodotra® ganz einfach nicht hätte. Abgesehen von diesen Tatsachen dämmerte mir, dass das erste Privatrezept schon mein Untergang sein könnte ("Naja, Sie können es doch bezahlen").

Nach dem verstrichenen Termin wegen der Rezeptauskunft ging ich in die Geschäftsstelle der Krankenkasse vor Ort und fragte die restlichen Aspekte ab. Die dortige Sachbearbeiterin musste sich erst telefonisch erkundigen, was ein Off-label-Antrag ist, und rief schließlich wegen meiner unbeantworteten Fragen die für mich zuständige Abteilungsleiterin an. Dabei kam heraus, dass die zweite Stellungnahme des Rheumatologen zwei Wochen unbearbeitet in der Schublade der Abteilungsleiterin geschlummert hatte und der Widerspruch bisher nicht an den MDK weitergegeben worden war. Wäre ich nicht wegen meiner Rezeptfragen in die Geschäftsstelle der Krankenkasse vor Ort gegangen, hätte mein Antrag weitergeschlummert.

Zu diesem Zeitpunkt rief ich den Berater der Rheuma-Liga an. Er war selber Rechtsanwalt und hatte eine rheumakranke Frau. Er vermittelte mir insgesamt eine andere Haltung, nicht "Bittsteller" (wie es bei den Rechtsanwälten und Patientenberatungsstellen durchschimmerte), sondern "Rechteinhaber als Kassenpatient" zu sein. Außerdem brachte er mich zum Lachen, was ebenfalls positiv ist. So sagt er etwa: Sie brauchen kein Privatrezept, Sie brauchen ein Kassenrezept! Und: Das brauchen Sie dem Arzt nicht zu sagen, dass der Off-label-Antrag abgelehnt wurde! Was ist denn überhaupt ein "Off-label-Antrag", das wissen Sie als Kassenpatientin doch gar nicht! Daraufhin erzählte ich ihm, dass die Krankenkassen-Mitarbeiterin erst nachfragen musste, was ein Off-label-Antrag ist, und wir haben gelacht.

Der Berater der Rheuma-Liga sagte als einziger:

- Nur in lebensbedrohlichen Fällen sollen Off-label-Anträge Erfolg haben? Das ist Unsinn. Auch wenn man chronisch krank ist und arbeitet, kann ein Off-label-Antrag nach gegenwärtiger Rechtslage Erfolg haben. Das ermutigte mich.

- Ihm wären bisher mehrere Fälle von Off-label-Anträgen von Lodotra® bekannt, von anderen rheumatischen Krankheiten als rheumatoider Arthritis sowie M. Crohn, allerdings noch keiner von Lupus. Etliche wären erst nach einem Widerspruch durchgegangen, aber letztendlich sei keiner abgelehnt worden. Auch das war positiv und konkret.

- Er zählte auf, welche Erfahrungen mit Lodotra® von welchen Krankenkassen vorlagen und hielt meine Krankenkasse insgesamt in Bezug auf Kostenübernahmen für chronisch kranke Rheumapatienten für schwierig. Dieser Eindruck passt zu dem, was andere LE- und Sjögren-Betroffene in der Selbsthilfegruppe über diese Krankenkasse berichten.

- Er schilderte die Vorgehensweisen von Krankenkassen-Sachbearbeitern, die gegenüber ihren Vorgesetzten eine bestimmte Anzahl von Ablehnungen von Anträgen vorweisen müssten.

Danach schrieb ich einen weiteren geharnischten Brief an die Krankenkasse, auch weil ich mich über die 14-tägige Verschlampung meines Widerspruchsantrags ärgerte. Ich forderte sie auf, sich zu beeilen, weil ich umgehend ein neues Kassenrezept für Lodotra® bräuchte. Den Mumm für diesen Brief hatte mir das Gespräch mit dem Berater der Rheuma-Liga gegeben.

Danach hat es noch 14 Tage inklusive Postweg und Weihnachtsfeiertage bis zum positiven Bescheid gedauert.

Insgesamt kamen von dem Berater der Rheuma-Liga als jemandem, der konkrete Beispiele von Off-label-Anträgen bei Lodotra® kannte, sehr präzise Fakten. Alle übrigen Patientenberatungsstellen und Rechtsanwälte hatten entweder noch nie einen Off-label-Antrag bei Lodotra® betreut und urteilten aus ihrer allgemeinen Einschätzung von Off-label-Anträgen, oder sogar aus ihrer allgemeinen Einschätzung über Patientenfragen, ohne bisher jemals Off-label-Anträge gemacht zu haben. Eine Rechtsanwältin meinte schlichtweg, der Antrag hätte wohl keinen Erfolg, da meine Situation nicht lebensbedrohlich sei. Bei Lupus-Betroffenen mit langsam-schleichendem Verlauf wie mir wird die Situation vielleicht nie lebensbedrohlich, aber wenn man täglich anderthalb Stunden Schlaf einsparen kann und morgens für die Arbeit fitter ist, und das über Jahre hinweg, ist dies ein Riesenerfolg, in den sich Nichtbetroffene vermutlich gar nicht hineinversetzen können und dies für gar nicht so relevant halten.

Fazit:

- Wir Lupus-betroffenen Frauen lassen uns immer noch von Ärzten, Ämtern, Behörden und Versicherungen viel zu viel gefallen.

- Wir Lupinen bleiben (mangels Alternativen) viel zu lange bei Ärzten, die uns nicht gut betreuen. Leider gibt es immer noch zu wenig Rheumatologen, die sich auf Lupus in seinen ganzen Facetten und Verlaufsformen spezialisiert haben.

- Unsere Rechte als Kassenpatientinnen sind uns zuwenig bekannt und intransparent.

- Möglicherweise bekommen die Krankenkassen viele Anträge für schulmedizinisch nicht belegte Behandlungsverfahren und können die wirklich wichtigen Anträge nicht gut herausfiltern. Man muss sich vorstellen, dass dies in einer Industrienation wie Deutschland bei Kortison geschieht, das wir Lupinen jahrelang einnehmen, das es seit 70 Jahren gibt und für das einmal ein Nobelpreis verliehen wurde, und das seit Jahrzehnten die Grundlage für die Behandlung vieler Millionen Menschen weltweit ist!

- Die Zulassungskriterien für innovative Arzneimittel sollten in Deutschland überdacht werden. Es kann nicht sein, dass eine Erkrankungsgruppe wie die rheumatoide Arthritis ohne Probleme an ein neues Medikament kommt, vielen Millionen anderen Autoimmunpatienten mit ähnlichen pathologischen Mechanismen aber dieses innovative Medikament verwehrt wird. Andere Länder wie Österreich, Großbritannien und Finnland gehen offenbar klüger vor: Dort wurde Lodotra® zeitnah für Lupus zugelassen. Diese Information konnte ich der kundigen Stellungnahme des MDK entnehmen.

- Der zweimonatige Stress hat meinen Gesundheitszustand bis an den Rand der Erschöpfung verschlechtert. Kaum eine Nacht konnte ich durchschlafen, sondern lag mit Herzrhythmusstörungen und in den Wintermonaten völlig untypisch zunehmenden Gelenkschmerzen wach. In den auf den Off-label-Antrag folgenden acht Monaten nahm ich unfreiwillig ein Kilo Körpergewicht pro Monat ab. Erst nach einem Dreivierteljahr hielt sich mein Gewicht wieder. Vermutlich hatte der Stress einen regelrechten Schub bei mir ausgelöst. Stressvermeidung ist Hauptrichtschnur der Krankheitsbewältigung bei Lupus, wie soll das gelingen, wenn man auch noch für die Kostenübernahme seiner Medikamente (hier kann ersetzt werden: für den Schwerbehindertenausweis, für eine Reha-Maßnahme, gegen unkollegiale Situationen am Arbeitsplatz/Mobbing, für den Erhalt des Arbeitsplatzes, für die Erwerbsminderungsrente, für die Verlängerung der EM-Rente ...) kämpfen muss?

- Derartige "Hiobsbotschaften" hören offensichtlich auch nach jahrezehntelangem Krankendasein nicht auf. So etwas kann immer wieder kommen. Mir sind Rheumapatienten bekannt, denen als Rentner das Leben mit Anträgen und Kostenproblemen so richtig schwer gemacht wird. Wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit chronisch Kranken um?


© Dorothea Maxin, Darmstadt




(Diese Seite wurde am 16.2.2024 aktualisiert.)


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